Gemeinschaftsgefühl im Job
Menschen sind abhängig vom Gemeinschaftsgefühl
Wir brauchen das Gemeinschaftsgefühl, auch Wir-Gefühl genannt. Unser Gehirn ist auf Kooperation, Vertrauen und gegenseitige Hilfestellungen zugeschnitten. Diese neuropsychologischen Eigenschaften werden im Berufsleben viel zu selten bewusst genutzt – obwohl sie ein großes Potenzial bergen.
Wie funktioniert unser Gehirn?
Wir haben ein soziales Gehirn
Die Neurobiologie liefert inzwischen zweifelsfreie Antworten auf die Frage, wie der Mensch denn nun ist: Er ist ein hochgradig soziales Wesen und für das Leben in einer Gemeinschaft bestens präpariert. Von Natur aus sind wir kooperativ, hilfsbereit und reagieren empfindlich auf Ungerechtigkeiten und Unehrlichkeiten. Das belegt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen aus den Bereichen Soziologie, Psychologie und besonders der Neurobiologie. Es ist an der Zeit, dass Firmenstrukturen an dieses Menschenbild angepasst werden.
Neurowissenschaft bestätigt Individualpsychologie
Die Individualpsychologie ist schon seit etwa 100 Jahren davon überzeugt, dass wir Menschen Gemeinschaftswesen sind. Auch bei der Arbeit haben wir das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und unserem Platz im Unternehmen. Das Gemeinschaftsgefühl ist die Voraussetzung für eine berufliche Zusammenarbeit. Folglich ist die Entwicklung des Gemeinschaftsgefühls für einzelne Mitarbeiter, Abteilungen und das ganze Unternehmen immens wichtig. Mitarbeiter, die ‚Dienst nach Vorschrift’ machen, sind eher in Unternehmen mit einem geringen Gemeinschaftsgefühl anzutreffen. Denn wenn wir uns nicht zugehörig fühlen, reagieren wir unsicher, misstrauisch und ängstlich. Übrigens lässt sich das Ausmaß der vorhandenen Angst am Betriebsklima ablesen. Alfred Adler (1870 – 1937), der Begründer der Individualpsychologie, gilt als Pionier der Tiefenpsychologie.
Wir sind spezialisiert auf Gesichter
Foto: AFNB GmbH
Die Fähigkeit, Gesichter erkennen und erinnern zu können, ist die wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren komplexer Sozialgemeinschaften. Ein bestimmter Hirnbereich ist sowohl strukturell als auch funktionell ausschließlich für die Gesichtserkennung zuständig. Es handelt sich dabei um ein Areal im inferotemporalen Cortex. Wir erinnern uns besser an Gesichter von Menschen, zu denen wir einen persönlichen Bezug haben. Außerdem erscheinen uns bekannte Gesichter freundlicher als unbekannte. Ein Durchschnittsgesicht, das wir im alltäglichen Leben immer wieder sehen, finden wir attraktiver als solche Gesichtsformen, die nur selten in unserem Lebensumfeld anzutreffen sind. Gesichtserkennung ist ein wesentlicher Teil der zwischenmenschlichen Kommunikation. Erkennen wir ein Gesicht wieder, kann die Beziehung zu diesem Menschen vertieft werden. Diese persönliche Beziehung wiederum lässt uns den Menschen sympathischer erscheinen. Das neuropsychologische System, das bei der Verarbeitung von Gesichtern aktiv ist, steht also offenbar im Dienste der Gemeinschaft. Denn es trägt zur Befriedung und Stabilisierung der Gruppe bei.
Wir Menschen sind abhängig vom Gemeinschaftsgefühl
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Menschen nehmen sich selbst und andere Menschen als Lebewesen wahr, die mit einem reichen emotionalen und mentalen „Innenleben“ ausgestattet sind. Weil wir in der Lage ist, uns in das Innenleben anderer hineinzufühlen und hineinzudenken, sind wir in der Lage, einander zu verstehen. Zahlreiche neuronale Module sind an den psychischen Prozessen des Miterlebens beteiligt. Die meisten davon sind emotionsverarbeitende Areale. Ebenso vielfältig sind die Hirnstrukturen, die an sozialen Kognitionsprozessen beteiligt sind. Sie helfen beispielsweise bei der Wahrnehmung von Gesichtern und Stimmen sowie beim Teilen von Emotionen, Erfahrungen oder Erlebnissen. Auch hier besteht der Großteil der beteiligten Hirnbereiche aus emotionsverarbeitenden Arealen. Gemeinschaft ist daher weniger ein rationales, sondern vielmehr ein stark emotionales Phänomen.
Aus neuropsychologischer Sicht sind wir jedoch nicht nur bestens dafür ausgestattet, ein Gemeinschaftsleben führen zu können. Wir sind so „gebaut“, dass wir das Gemeinschaftsgefühl dringend brauchen. Fremdbestimmtheit und Ausgrenzung machen die Betroffenen krank an Körper, Geist und Seele. Umgekehrt macht jede Form sozialer Zuwendung gesund, glücklich und zufrieden. Denken wir dabei zum Beispiel an Mitleid, Großzügigkeit oder Hilfsbereitschaft. Zuwendung hilft Kranken und Altruismus macht die Spender glücklich. Das lässt sich sogar auf neuronaler Ebene nachweisen. In Bezug auf das soziale Miteinander können wir was wir brauchen. Aber wir brauchen auch was wir können. Das hört sich auf den ersten Blick wie ein logischer Fehlschluss an. In Wirklichkeit ist es eine evolutionsbiologisch entstandene doppelte Absicherung der Gruppenstabilität.
Wie ist der Mensch?
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Der Begriff Moral bezeichnet ein Regelwerk, das festlegt, wie sich ein Jeder verhalten sollte. Die Details sind natürlich abhängig von der jeweiligen Kultur, der vorherrschenden Glaubensrichtung und von der aktuellen Zeitepoche. Historische und kulturvergleichende Gesetzestexte sowie ein Vergleich der Moralvorstellungen und Regelwerke der verschiedenen Religionen zeigen es sehr deutlich. Es gibt eine große Schnittmenge von Verhaltensweisen, die alle Menschen zu allen Zeiten für wünschens- und erstrebenswert halten. Umgekehrt existieren bestimmte Verhaltensweisen, die überall und zu allen Zeiten geächtet werden. Es spricht daher vieles dafür, dass wir Menschen mit einer angeborenen moralischen Grundausstattung versehen sind.
Fazit
Eine beeindruckende Vielzahl neuronaler Schaltkreise steht im Dienste der Stabilisierung sozialer Gemeinschaften. Im Laufe der Evolution sind einerseits Systeme entstanden, die uns überhaupt erst in die Lage versetzen, komplexe soziale Strukturen aufbauen und erhalten zu können, und andererseits sind Systeme entstanden, die Verhaltensweisen, die zur Stabilisierung der Sozialgemeinschaft beitragen, durch ein Wohlgefühl belohnt werden.
Wir können nicht nur ein WIR. Wir brauchen auch ein WIR. Ein WIR macht uns glücklich und erhält uns gesund, und zwar an Körper, Geist und Seele.